Nabelschnurblut: Einlagern oder egal?
Nabelschnurblut - also das Blut, dass sich direkt nach der Geburt noch in der Nabelschnur befindet, enthält sehr viele frische, unbelastete Stammzellen. Aus vielen dieser Stammzellen können sich zahlreiche Zellarten entwickeln - sie sind daher - theoretisch - ideal geeignet für den Einsatz in der regenerativen Medizin.
In den meisten Fällen wird die Nabelschnur mitsamt des enthaltenen Blutes kurzerhand entsorgt. Aber immer mehr Menschen nutzen die Möglichkeit, diese Stammzellen einzulagern. Das Problem: die Möglichkeiten einer Stammzellentherapie stecken noch in den Kinderschuhen - und bislang gibt es nur sehr wenige direkte Nutzungsmöglichkeiten. Das Einlagern von Nabelschnurblut ist also eine Investition in die Zukunft. Zum einen stellt sich die Frage, ob das Kind überhaupt schwer erkranken wird - und zum anderen ist meist noch unklar, ob zu dem Zeitpunkt die medizinische Forschung soweit ist, dass dieses Stammzellenblut auch tatsächlich für eine Therapie genutzt werden kann.
Pro & Contra Nabelschnurblut-Einlagerung
Der Sinn und Nutzen des Einfrierens von Nabelschnurblut ist daher umstritten. Allerdings nur deshalb, weil es relativ teuer ist. Für das unverzügliche Einfrieren, den Transport und die jahrelange Lagerung (meist ca. 20 bis 30 Jahre) muss man Kosten in Höhe von rund 3000 bis 5000 Euro kalkulieren.
Kritiker werfen den Anbietern der Nabelschnurblut-Einlagerung vor, sie würden Ängste schüren und mit unklaren Versprechungen agieren. Befürworter hingegen verweisen auf die zunehmende Geschwindigkeit der medizinischen Forschung und Entwicklung. Möglicherweise stehen in 10 oder 20 Jahren Methoden der Stammzellentherapie zur Verfügung, die dann mangels geeigneter Stammzellen nicht genutzt werden können.
Nicht vergessen sollte man zudem das Risiko, dass die Blutkonserve bei der Blutbank aufgrund unglücklicher Umstände auch unbrauchbar werden könnte - 20 Jahre und mehr sind ein langer Zeitraum (sei es durch Systemausfälle, technische Fehler oder Insolvenz).
Letztendlich ist es vor allem eine finanzielle Abwägung, so wie bei vielen anderen Versicherungen auch. Wer es sich leisten kann - ohne dem Kind dadurch zum Beispiel anderen Dinge vorzuenthalten - kann im Grunde nichts falsch machen. Im Zweifelsfall hat man das Geld "verschenkt", aber man hat dem Kind immerhin eine mögliche Therapie gesichert.
Wenn man jedoch nicht die finanziellen Mittel hat, sollte man sehr genau abwägen. Denn wenn man dieses Geld beiseite legt, um dem Kind eine schöne und abwechslungsreiche Kindheit zu bieten, dann ist das vermutlich der bessere Weg, um für das Wohl des Kindes zu sorgen.
Kurzum: es ist vollkommen in Ordnung, wenn man das Nabelschnurblut nicht einfriert. Wichtiger als sorgenvolle Eltern sind liebevolle Eltern.
Warum ist Nabelschnurblut so wertvoll?
Das Besondere an Stammzellen ist ihre Fähigkeit, sich theoretisch in jede Zellart des Organismus zu differenzieren. Genau genommen hat sich das gesamte Baby im Mutterleib aus Stammzellen entwickelt. Normale Zellen (z.B. Herzmuskelzellen, Nervenzellen) können sich zwar teilen, sie bleiben jedoch immer genau die Zellart, aus der sie hervorgegangen sind. Wenn also ein Gewebe weitgehend abgestorben ist, so dass nicht mehr genügend Zellen dieser Art vorhanden sind, dass ist dieses Organ in der Regel nicht mehr funktionsfähig.
Mediziner forschen weltweit an Verfahren, wie man diese Regeneration von Zellgeweben mit Hilfe von Stammzellen ermöglichen kann. In vielen Bereichen wurden bereits erste Erfolge erzielt - sei es in Form von Zellkulturen oder an Säugetieren.
Ein besonderes Potential liegt dabei bei sog. iPS-Zellen (iPS = induzierte, pluripotente Stammzellen). Solche iPS-Zellen kann man auch aus körpereigenen Stammzellen herstellen (z.B. aus dem Knochenmark oder Hautfibroblasten). Allerdings sind die Stammzellen bereits "gealtert" - und es ist unklar, inwiefern diese Alterung (Giftstoffe, Strahlung etc.) die Stammzellentherapie beeinflusst. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es deutlich effektiver ist, iPS-Zellen aus eingefrorenen Nabelschnurblut-Stammzellen zu generieren. Mehr über die Entstehung der Blutzellen siehe: Hämatopoese.
Wie wird Nabelschnurblut eingelagert?
Die Gewinnung von Nabelschnurblut ist einfach, sicher, schmerzfrei und ohne Risiko für Mutter und Baby. In den ersten Minuten nach der Geburt wird die Nabelschnur abgetrennt. Das bedeutet, dass die Versorgung des Babys von nun an nicht mehr über die mütterliche Plazenta läuft, sondern das Kind autonom wird. Die Nabelschnur wird an 2 Stellen durch Klemmen abgetrennt (ca. 10 cm voneinander entfernt). Dazwischen wird die Nabelschnur abgetrennt. Die Klemme auf der Seite des Kinderbauches bleibt noch ein paar Stunden / Tage dran, bis die Wunde verheilt ist.
Das Abtrennen der Nabelschnur wird sowieso vorgenommen. In dem abgeschnitten Ende, das an der Plazenta hängt, befindet sich noch viel Blut. Davon kann man ca. 100 bis 200 Milliliter entnehmen (mit einer Spritze wie beim Blutabnehmen beim Arzt). Das Blut fließt in einen speziellen Blutbeutel und wird direkt in ein bereitgestelltes Kühlaggregat gestellt. Dort wird es in kurzer Zeit schockgefroren. In diesem Tiefkühl-Transportbehälter wird es dann zu einer Blutbank gebracht und dort bei -170° bis -190° Celsius eingelagert (sog. Kryokonservierung mit Hilfe von flüssigem Stickstoff). Langzeitstudien haben gezeigt, dass die Funktionen innerhalb der Zelle schon ab minus 130° Celsius vollständig zum Erliegen kommen - sie jedoch nachdem auftauen wieder voll funktionstüchtig sind. theoretisch ist es so tatsächlich möglich, Stammzellen dauerhaft und zeitlicht unbegrenzt einzulagern. Das einzige, was man an Einfluss von außen nicht absichern kann, ist kosmische Strahlung, die auch die Stahlwände der Blutbank durchdringt.
Stammzellen-Datenbank und Melderegister
Ein kleiner Teil des Blutes wird untersucht und typisiert. Die Blutbank übernimmt dann die Meldung beim Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland in Ulm. Dieses Melderegister ist weltweit vernetzt. Denn möglicherweise benötigt später einmal jemand anders dieses Stammzellenblut. Dann kann man als Eltern überlegen, ob man das eingelagerte Nabelschnurblut ev. spenden möchte (weil man es absehbar nicht braucht). Vor allem bei Erkrankungen von Geschwisterkindern oder Familienangehörigen kann das sinnvoll sein. (Man muss jedoch bedenken, dass diese Entscheidung zu ethischen Problemen führen kann: ab welchem Zeitpunkt kann man die medizinische Vorsorge, die man dem eigenen Kind bietet, ablegen und das Blut spenden?)
Nabelschnurblut spenden
Eine Nabelschnurblut- Spende ist für die Eltern kostenlos, da die Kosten durch Spendergelder (z. B. von der José-Carreras-Stiftung) und Abgabegebühren, die die Krankenkasse des Patienten bezahlt, gedeckt werden.
Nabelschnurblut kann in Deutschland an die Stammzellregister in Düsseldorf, Mannheim, München, Freiburg, Erlangen, Dresden sowie Hannover gespendet werden. Diese Register arbeiten mit ungefähr 75 Krankenhäusern in zahlreichen deutschen Städten zusammen. Nur in jenen kooperierenden Kliniken ist derzeit die Entnahme möglich. In der Schweiz sind Kliniken in Basel, Bern, Genf, Liestal und Lugano für die Nabelschnurblutspende eingerichtet.
Was kostet die Nabelschnurblut-Einlagerung?
Die genauen Kosten lassen sich nicht exakt beziffern, sie unterscheiden sich von Anbieter zu Anbieter. Grob über den Daumen kann man von ca. 3000 bis 5000 Euro ausgehen - je nachdem, wo und wie lange das Nabelschnurblut eingelagert wird.
Die Kosten muss man in der Regel komplett selbst aufbringen. Nur in sehr wenigen Fällen beteiligen sich die Krankenkassen an den Kosten (zum Beispiel wen bestimmte genetische Veranlagungen in der Familie bekannt sind).
Chancen und Potentiale
Es gibt nach wie vor sehr viele Krankheiten, die sich mit heutigen medizinischen Mitteln kaum therapieren lassen. Der Grund dafür ist meist, dass im Körper Zellstrukturen und Gewebe defekt sind, die nicht mehr (in ausreichendem Maße) nachgebildet werden. Teilweise basiert die Ursache auf äußeren Einflüssen (Unfälle, Vergiftungen, Verbrennungen etc.), teilweise sind die Defekt jedoch auch genetisch bedingt. Heutige Therapien können dabei meist nur körpereigene Prozesse simulieren, aber nicht wieder regenerieren.
Genau hierin liegt die Hoffnung, die die Stammzellenforschungen wecken. Mit Hilfe von Stammzellen ist es theoretisch möglich, dem Körper solche Zellstrukturen zu implantieren, die das defekte Organ oder die defekte Struktur komplett nachbilden - so wie das einst im Mutterleib geschehen ist.
Bislang ist die Stammzellenforschung noch nicht soweit, dass man damit alle Krankheiten therapieren könnte. Im Gegenteil, es sind bislang nur sehr wenige Krankheiten, die sich mit Hilfe einer Stammzellentherapie behandeln lassen.
Aber: die Ansätze sind sehr vielversprechend. Stammzellen gelten als ein Hoffnungsträger der Medizin.
Nabelschnurblutstammzellen wurden 1988 erstmals durch die französische Ärztin Eliane Gluckman in Paris medizinisch genutzt, um ein Kind mit Fanconi-Anämie zu behandeln.
Den Blutgastest per Nabelarterie hatte schon zuvor Virginia Apgar erfunden und eingeführt.
Video zum Thema Stammzellen
Das folgende Video zeigt einfach und unterhaltsam, warum Stammzellen so bedeutsam sind:
In dem Video wird anschaulich erläutert, was folgende Stammzellen sind:
- Omnipotente Stammzellen (auch totipotente Stammzellen genannt: sie bilden in den ersten Tagen nach der Befruchtung die Urzellen, aus denen sich alle weiteren Zellarten entwickeln können.
- Adulte Stammzellen (pluripotent): diese sind schon etwas spezialisierter, können aber immer noch eine Vielzahl an unterschiedlichen Zellarten ausbilden.
- Multipotente Stammzellen: sind noch weiter spezialisiert und können sich nur noch in relativ wenige Zellarten differenzieren.
Allen Stammzellen gemeinsam ist jedoch: wenn sie sich teilen, bleibt eine Zelle weiterhin eine Stammzelle, während sich die andere zu eine speziellen Zellart entwickelt.
Abwägen von Pro und Contra
Zusammenfassend kann man vielleicht sagen: es ist und bleibt für werdende Eltern eine schwierige Abwägung. Natürlich will man das Kind so gut wie möglich absichern. Aber ob und wann dafür die Stammzellen aus dem Nabelschnurblut gebraucht werden, ist noch völlig unklar. Überspitzt kann man sagen: wer es sich ohne Verlust von Lebensqualität leisten kann, ist mit dem Einlagern von Nabelschnurblut auf der sicheren Seite. Aber ansonsten gilt: viel wichtiger als eingelagertes Blut ist Liebe und Geborgenheit, Vertrauen und Spaß. Das Leben an sich ist immer ein Risiko - aber eines, das man zu meistern lernt.
Ressourcen / Weiterlesen
- Deutsches Ärzteblatt: Stammzellen aus Nabelschnurblut (PDF, 2/2010)
- Nabelschnurblut - Heilen mit Stammzellen, von Volker Henn (Autor), ebook (Amazon *)
- Immunrekonstitution nach allogener Stammzelltransplantation: Vergleich von Stammzellen aus Nabelschnurblut und solchen aus peripherem Blut bei erwachsenen Patienten, von Amin Turki (Autor), Südwestdeutscher Verlag (Amazon *)
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